Dienstag, 07. März 2023 |
Literarische Perlen (12)
Hermann Broch
Zerfall der Werte [6]
Zur Logik des Soldaten gehört es, dem Feind eine Handgranate zwischen die Beine zu schmeißen;
zur Logik des Militärs gehört es überhaupt, die militärischen Machtmittel mit äußerster Konsequenz und Radikalität auszunützen und wenn es nottut, Vöker auszurotten, Kathedralen niederzulegen, Krankenhäuser und Operationssäle zu beschießen;
zur Logik des Wirtschaftsführers gehört es, die wirtschaftlichen Mittel mit äußerster Konsequenz und Absolutheit auszunützen und, unter Vernichtung aller Konkurrenz, dem eigenen Wirtschaftsobjekt, sei es nun ein Geschäft, eine Fabrik, ein Konzern oder sonst irgendein ökonomischer Körper, zur alleinigen Domination zu verhelfen;
zur Logik des Malers gehört es, die malerischen Prinzipien mit äußerster Konsequenz und Radikalität bis zum Ende zu führen, auf die Gefahr hin, dass ein völlig esoterisches, nur mehr dem Produzenten verständliches Gebilde entstehe;
zur Logik des Revolutionärs gehört es, den revolutionären Elan mit äußerster Konsequenz und Radikalität bis zur Statuierung einer Revolution an sich vorwärtszutreiben, wie es überhaupt zur Logik des politischen Menschen gehört, das politische Ziel bis zur absoluten Diktatur zu bringen;
zur Logik des bürgerlichen Faiseurs gehört es, mit absoluter Konsequenz und Radikalität den Leitspruch des Enrichissez-vous* in Geltung zu setzen: auf diese Weise, in solch absoluter Konsequenz und Radikalität entstand die Weltleistung des Abendlandes – um an dieser Absolutheit, die sich selbst aufhebt, ad absurdum geführt zu werden: Krieg ist Krieg, l'art pour l'art, in der Politik gibt es keine Bedenken, Geschäft ist Geschäft –, dies alles besagt das nämliche, dies ist alles von der nämlichen aggressiven Radikalität, ist von jener unheimlichen, ich möchte fast sagen, metaphysischen Rücksichtslosigkeit, ist von jener auf die Sache und nur auf die Sache gerichteten grausamen Logizität, die nicht nach rechts, nicht nach links schaut, – oh, dies alles ist der Denkstil dieser Zeit!123
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* frz.: bereichert euch!
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123 Broch, Hermann: Die Schlafwandler. Eine Romantrilogie, Rhein-Verlag Zürich 1952 [1932], S. 525 f. |
Wochentag, 12. Februar 2023 |
"Wir werden unsere Außengrenzen stärken und so irreguläre Migration verhindern", sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf dem EU-Sondergipfel am Donnerstag in Brüssel. Die EU will also mehr Geld ausgeben für den Schutz der Außengrenzen. In Deutschland kommt Kritik aus der Opposition: Die Linke sagt, was auf dem EU-Gipfel in Sachen Flucht und Migration beschlossen worden sei, komme einer humanitären Bankrotterklärung gleich, und die Grünen meinen, die Errichtung von Zäunen passe nicht zur EU. Der Union sind dagegen die Beschlüsse nicht konkret genug, sie hätte sich eine gleichmäßigere Verteilung der Ukraine-Flüchtlinge in der EU gewünscht.
Gibt es jetzt mehr EU-Zäune?, fragt der Kommentator des DLF
Mir kommt dabei ein Gedicht von Robert Frost in den Sinn. Es trägt den Titel Mending Wall ("Die Mauer ausbessern") und thematisiert das Für und Wider von Zäunen und Mauern.
Mending Wall
Something there is that doesn't love a wall,
That sends the frozen-ground-swell under it,
And spills the upper boulders in the sun,
And makes gaps x even two can pass abreast.
The work of hunters is another thing:
I have come after them and made repair
Where they have left not one stone on a stone,
But they would have the rabbit out of hiding,
To please the yelping dogs. The gaps I mean,
No one has seen them made or heard them made,
But at spring mending-time we find them there.
I let my neighbor know beyond the hill;
And on a day we meet to walk the line
And set the wall between us once again.
We keep the wall between us as we go.
To each the boulders that have fallen to each.
And some are loaves and some so nearly balls
We have to use a spell to make them balance:
'Stay where you are until our backs are turned!'
We wear our fingers rough with handling them.
Oh, just another kind of out-door game,
One on a side. It comes to little more:
There where it is we do not need the wall:
He is all pine and I am apple orchard.
My apple trees will never get across
And eat the cones under his pines, I tell him.
He only says, 'Good fences make good neighbors'.
Spring is the mischief in me, and I wonder
If I could put a notion in his head:
'Why do they make good neighbors? Isn't it
Where there are cows? But here there are no cows.
Before I built a wall I'd ask to know
What I was walling in or walling out,
And to whom I was like to give offence.
Something there is that doesn't love a wall,
That wants it down.' I could say 'Elves' to him,
But it's not elves exactly, and I'd rather
He said it for himself. I see him there
Bringing a stone grasped firmly by the top
In each hand, like an old-stone savage armed.
He moves in darkness as it seems to me
Not of woods only and the shade of trees.
He will not go behind his father's saying,
And he likes having thought of it so well
He says again, 'Good fences make good neighbors.'
Da treffen sich zwei Männer im Frühling im Wald an ihrer gemeinsamen Grundstücksgrenze, um die im Winter beschädigte Steinmauer auszubessern, die nicht nur durch den Frost, sondern vor allem durch die Hunde der Jäger beschädigt worden ist. Doch wozu haben wir hier eigentlich eine Mauer, fragt der Sprecher, auf meiner Seite gibt es nur Apfelbäume und drüben nur Kiefern, die tun sich gegenseitig nichts. Hier gibt es doch keine Kühe, die man einzäunen müsste.
Die Antwort des Nachbarn besteht nur aus einem überlieferten Sprichwort: "Good fences make good neighbors" ("Sind Zäune gut, sind Nachbarn gut") Der Sprecher aber stellt fest: Im Menschen gibt es etwas, das keine Mauern mag.
Robert Frost hat sich später zu diesem Gedicht in dem Sinn geäußert, dass er sich vermutlich in beiden Figuren gesehen hat, er habe es sich zur Regel gemacht, in allem, was er schreibe, für keine seiner Figuren Partei zu ergreifen. Der Impuls, schützende Mauern zu errichten und der gegensätzliche Impuls, sie abzutragen, existierten fortwährend in Frosts Werk, schreibt Henry Hart, einer von Frosts Biografen.
Nicht nur in den Gedichten von Robert Frost.
Hier wieder zwei Übertragungen ins Deutsche, die erste von Ingeborg, die zweite von mir (basierend auf Ingeborgs Version)
Wälle flicken
Etwas ist da, was Wälle gar nicht mag,
was unter sie Frost-Boden-Wölbung schickt,
die Steine oben in der Sonne kullert
und Lücken macht, durch die gleich zweie passen.
Was anderes ist noch das Werk der Jäger:
Ich gehe ihnen nach und reparier
wo sie nicht Stein auf Stein gelassen haben.
Sie trieben wohl den Hasen aus dem Bau,
zum Spaß der Kläffer. Diese Lücken sah
niemand sie machen, oder hört' sie machen.
Doch finden wir sie da, im Frühjahr, Flickzeit,
Ich sag Bescheid dem Nachbarn hinterm Hügel,
wir wandern eines Tags zu zweit entlang
und setzen den Wall zwischen uns instand.
Wir halten den Wall zwischen uns beim Gehn.
Die Steine dem, zu dem sie hingefallen.
Und manche sind Laibe, manche beinah Bälle,
wir brauchen einen Spruch zum Balancieren:
'Bleib, wo du bist, bis wir den Rücken kehren.'
Die Finger werden rissig vom Hantieren.
O, eine Art von Spiel an frischer Luft,
ein Mann pro Seite. Dazu kommt noch etwas:
Dort, wo er ist, braucht man gar keinen Wall:
Er hat nur Kiefern und ich Apfelbäume.
Die gehen niemals rüber, fressen nie
die Zapfen unter seinen Kiefern, sag ich.
Er bloß: 'Sind Zäune gut, sind Nachbarn gut.'
Frühling ist Maliziöses in mir, kann ich
in seinen Kopf eine Idee platzieren?
'Warum sind dann die Nachbarn gut? Braucht's das
nicht bloß bei Vieh? Doch hier ist kein Vieh da.
Bevor ich einen Wall setz, würd' ich fragen
was ich da einwall oder auswall, und
wem dies mein Werk Gewallt erscheinen mag.
Etwas ist da, was Wälle gar nicht mag,
was sie niederreißt.' Könnt es Kobold nennen,
doch Kobold ist's ja nicht. Mir wär es lieber,
dass er es selbst so nennt. Ich seh ihn als
bewehrtes Steinzeitungetüm, in Händen
je einen Stein, am Ende fest gepackt.
In Dunkelheit bewegt er sich, scheint mir,
nicht der des Walds nur und der Bäume Schatten.
Er geht nicht hinter seines Vaters Wort und
freut sich, dass er's so gut behalten hat.
Er nochmal: 'Sind Zäune gut, sind Nachbarn gut.'
Mauerflicken
Da ist etwas, das Mauern gar nicht mag,
Was unter sie gefror‘nen Boden schiebt,
Die ob‘ren Steine in die Sonne kippt
Und Lücken macht, durch die zu zweit man passt.
Und dann gibt es das Werk der Jäger noch:
Ich gehe ihnen nach und reparier‘
Wo sie nicht Stein auf Stein gelassen haben.
Sie trieben nur den Hasen aus dem Bau,
Jaulender Hunde Spaß. Die Lücken, mein‘ ich,
Sah und hörte keiner machen, doch
Finden wir sie dort zur Frühjahrsflickzeit.
Ich sag Bescheid dem Nachbarn hinterm Hügel,
Wir gehen eines Tags die Strecke lang
Setzen die Mauer zwischen uns instand.
Halten die Mauer zwischen uns beim Gehn.
Die Steine dem, zu dem sie hingefallen.
Manche sind Laibe, manche beinah Bälle,
Wir brauchen einen Spruch zum Balancieren:
'Bleib, wo du bist, bis wir den Rücken kehren.'
Die Finger werden rissig vom Hantieren.
O, noch so eine Art von Spiel im Freien,
Einer auf jeder Seite. Und dann noch was:
Dort, wo sie ist, braucht‘s gar keine Mauer:
Er hat nur Kiefern und ich Apfelbäume.
Die gehen niemals rüber, fressen nie
Die Zapfen unter seinen Kiefern, sag ich.
Er bloß: 'Sind Zäune gut, sind Nachbarn gut.'
Im Frühling sticht der Hafer mich, ich frag mich,
Ob eine Idee ich ihm eingeben kann:
'Warum sind dann die Nachbarn gut? Braucht's das
Nicht bloß bei Vieh? Hier gibt es doch kein Vieh.
Bevor ich eine Mauer setz‘, frag‘ ich
Was ich denn da einmau‘re oder aus,
Und wen ich gar beleidige damit.
Da ist etwas, das Mauern gar nicht mag,
Was nieder sie möcht‘ reißen' – sind es Elfen?
Doch eigentlich sind’s keine Elfen, lieber
Wär’s mir, er selbst benennt‘s. Da seh‘ ich ihn
Wie einen Stein er fest ergreift, in jeder
Hand, bewaffnet wie ein Steinzeitwilder.
In Dunkelheit bewegt er sich, scheint mir,
nicht der des Walds nur und der Bäume Schatten.
Er geht nicht hinter seines Vaters Wort und
freut sich, dass er's so gut behalten hat und
sagt nochmal: 'Sind Zäune gut, sind Nachbarn gut.'
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