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WERNERS BLOG
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Samstag, 27. Mai 2023 |
Ein köstliches Buch ist mir in die Hände gefallen. Wer Interesse an gut geschriebenem Deutsch hat, sollte unbedingt Die Schlange im Wolfspelz von Michael Maar lesen.124
Das Buch ist ein Streifzug durch die deutschsprachige Literatur aus drei Jahrhunderten. Wann schreibt ein Schriftsteller, eine Schriftstellerin einen guten Stil und warum? Was ist es, das uns an den Texten fasziniert (oder auch nicht)? Die Beispiele werden nicht nur mit größter Sachkenntnis präsentiert und seziert, sondern auch mit viel Humor. Und die Liebe zur Literatur ist der geheime Ghostwriter.
Ein Beispiel aus dem Kapitel über "Beiwörter" (Adjektive und Adverbien), das betitelt ist "Am Beiwort sollt ihr sie erkennen:
Manche sind in dieser Hinsicht erstaunlich furchtlos. Wer sich durch den Heinrich von Ofterdingen auf der Suche nach einem originellen Adjektiv quält, der kann auch in der Sahara nach blauen Blumen suchen. Wo man aufschlägt, ist alles anmuthig, unbeschreiblich, reizend, romantisch, mannigfaltig, himmlisch, ewig; oft nach einem Satz schon wiederholt – nichts, aber auch gar nichts ist gesehen, gehört, individuell empfunden. Für eine Schule des Stils wäre Novalis ein abschreckendes Beispiel.
Aber dann die andern. Streiche die Adjektive bei Stifter oder Keller, bei Proust oder Virginia Woolf, bei Joseph Roth oder Doderer, bei Borchardt oder Thomas Mann, und das Werk ist tot.
Zwei winzige Beispiele. Zum Höhepunkt der Mannschen Joseph-Tetralogie hat Joseph, inzwischen die rechte Hand des Pharaos, seine Brüder, die ihn in den Brunnen geworfen hatten, zu sich nach Ägypten gelockt. Die Brüder haben den hohen Herrn noch nicht erkannt, aber schwummrig ist ihnen schon. Was hat er mit ihnen vor. Sie wissen es nicht. Juda wird zur Rede gestellt und berichtet von den familiären Verhältnissen. Als Joseph hört, daß sein kleiner Bruder, der zarte Benjamin, mittlerweile von zwei Weibern acht Kinder habe, bricht er, ohne die Übersetzung abzuwarten, in lautes Lachen aus. Die ägyptischen Beamten lachen aus Unterwürfigkeit mit. - "Die Brüder lächelten ängstlich." Das "ängstlich" macht die Komik, weil es in Spannung zum Verb steht.
Oder nehmen wir die Erklärung, die Borges davon gibt, warum er dann doch seine fernöstlichen Studien abgebrochen habe. 1916 hatte er mit ihnen begonnen und war dabei auf die englische Übersetzung eines chinesischen Philosophen gestoßen. Der Passus lautete: "Einen zum Tode Verurteilten macht es nichts aus, am Abgrund zu wandern, denn er hat mit dem Leben abgeschlossen." Ein Sternchen am Ende des Satzes verwies den enthusiastischen Leser auf eine Fußnote. Dort wurde ihm mitgeteilt, diese Übersetzung sei unbedingt der eines rivalisierenden Sinologen vorzuziehen, der folgendermaßen übersetzt habe: "Die Diener zerstören die Kunstwerke, um nicht ihre Schönheiten und Mängel beurteilen zu müssen." Da hörte der junge Borges auf zu lesen. "Ein mysteriöser Skeptizismus hatte sich in meine Seele geschlichen." Hier ist es das "mysteriös", was die Komik hervorblitzen läßt oder erst erzeugt.
Anschließend lässt Maar ein Kapitel aus Joseph Roths Hiob versuchsweise von Hemingway überarbeiten, der sämtliche Adjektive streicht. Das Ergebnis spricht für sich. So geht das durch das ganze Buch. Großartig.
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124 Michael Maar, Die Schlange im Wolfspelz – Das Geheimnis großer Literatur, Hamburg, Rowohlt Verlag 2020 |
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Freitag, 5. Mai 2023 |
Die alten Tagebücher (71)
26. Oktober 1981
Der folgende Eintrag (der eine Woche vor dem zuletzt vorgestellten liegt) ist der erste in dem Tagebuch mit der laufenden Nummer 5, das vom 26. Oktober 1981 bis zum 5. Februar 1984 reicht. Es beginnt mit Reflexionen über die alte Sehnsucht zu "schreiben".
Der Übergang vom alten zum neuen Tagebuch geht diesmal nicht mit einer Veränderung meiner Lebenssituation einher wie beim vorletzten Mal, als meine Zeit in Bardou zu Ende war, oder beim letzten Mal, als wir nach unserer Reise wieder nach München gekommen waren.
Ich habe gerade die paar Seiten meines vor-vorletzten Tagebuchs wieder gelesen, die den Abschluss bildeten und die den Versuch darstellten, einen Augenblick meiner Wanderung in den Monts de l'Espinouse literarisch festzuhalten. Ich war erstaunt über eine gewisse Qualität meines Geschriebenen. Es ist mir eigentlich noch nie so gegangen, daß mich von mir Geschriebenes nach längerer Zeit beeindruckt hätte. Aus diesen Seiten aber kann ich die Konzentration herauslesen, mit der ich daran gearbeitet habe und die Intensität der Gefühle nachempfinden.
Ich werde versuchen müssen, da wieder anzuknüpfen. Interessant ist für mich, daß ich offensichtlich von Zeit zu Zeit schon mal schreiben konnte, zwar nur ein paar Seiten, noch mit einigen stilistischen Unebenheiten, aber die kann man ja redigieren. Immerhin.
Je umfangreicher meine Tagebücher werden, desto mehr lerne ich ihren Wert zu schätzen. Ich muß dem Schreiben nicht bloß ständig nachlaufen, es vor mir vermuten, es findet sich auch schon gelegentlich in der - festgehaltenen - Vergangenheit.
Seit ich hier im Haus lebe, haben meine Tagebuchnotizen eine möglicherweise kleinkariert erscheinende Alltäglichkeit angenommen: Die Arbeit im Garten, die Hühner, der Ausbau des Hauses. Welchen Wert diese Aufzeichnugnen für mich haben werden und ob sie überhaupt einen haben, kann ich zur Zeit unmöglich beurteilen, und darum werde ich auch solange damit fortfahren, bis mir Besseres einfällt. Und wenn unter 50 Seiten Geschreibsel 5 Zeilen Literatur (Schreiben) sein sollten, dann ist das schon ein Gewinn für mich.
(...)
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Freitag, 14. April 2023 |
Das bevorstehende Datum des Atomausstiegs in Deutschland (morgen!) ruft zum Schluss noch einmal diejenigen auf den Plan, die Atomenergie als eine tolle Sache ansehen. So behauptet etwa Markus Söder in Bayern, "die Entscheidung der Ampel-Regierung sei ideologisch und setze sich über den Willen der Bevölkerung hinweg" (siehe Bericht im DLF).
Überhaupt ist "ideologisch" ein sehr beliebtes Argument aller konservativen und liberalen Kräfte, wenn es gegen Projekte etwa des Umweltschutzes oder der alternativen Energiegewinnung geht. Insbesondere, wenn dabei eigene Pfründe gefährdet sind. Dabei übersehen sie (oder verschweigen bewusst) wie sehr sie selber in Ideologien verstrickt sind. Gerade der Konservatismus oder der (Neo-)Liberalismus sind stark Ideologie-getriebene Weltanschauungen, die als die alleinseligmachenden angesehen werden.
Zur Information hier ein Auszug aus dem Wikipedia-Artikel "Ideologie":
Politik ist immer mit Ideologie verbunden, eine unideologische, rein technokratische Politik ist realitätsfremd. Politische Programme basieren auf bestimmten Wertesystemen. Die grundlegenden politischen Ideologien sind Liberalismus (Betonung der Freiheit auf Grundlage der Marktwirtschaft), Sozialismus (Betonung der Gleichheit) und Konservatismus (Betonung von gesellschaftlichen Traditionen).
Der Vorwurf einer durch Ideologie bestimmten Argumentation findet sich häufig im politischen Diskurs. Damit wird unterstellt, dass ein Standpunkt deswegen nicht stichhaltig sei, weil er auf einer politischen Ideologie basiere. Der eigene Standpunkt wird demgegenüber implizit oder explizit so dargestellt, dass er auf einer nüchternen Analyse der Wahrheit, dem gesunden Menschenverstand oder auf einer nicht in Frage zu stellenden Ethik beruhen würde. Dies könnte indes die jeweilige Gegenseite in vielen Fällen mit dem gleichen Recht für sich in Anspruch nehmen. Während die politische Linke Ideologien als etwas versteht, das sich in allen Gesellschaftsschichten zur Vertretung der jeweiligen Interessen bilden kann, überwiegt bei der sich als Mitte verstehenden Rechten "die Ideologie von der eigenen Ideologielosigkeit". Wo diese herrscht und nur die Ideologie der anderen als eine solche bezeichnet wird, muss jede Auseinandersetzung "ohne Ergebnis bleiben, steril, polemisch oder gar verletzend" werden.
Unausgesprochene Ideologeme (einzelne Elemente einer Ideologie) beherrschen oft die politische Debatte, ohne dass dies in der Diskussion immer bewusst wird.
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Mittwoch, 25. März 2023 |
Gestern hieß es in den Nachrichten, dass die ersten Leopard-2-Panzer aus Deutschland in der Ukraine angekommen sind.
Ich nehme die Meldung zum Anlass, mir wieder einmal den Wandel im eigenen Bewusstsein vor Augen zu führen. Vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine war mir der ganze Waffenschrott zutiefst zuwider: kostet eine Unmenge Geld und steht sowieso nur dumm herum. Etwas für technikvernarrte Militaristen. Oder so ähnlich.
Schon am Tag, als der Kanzler die Zeitenwende verkündete, drei Tage nach dem Einmarsch, klang ich anders (siehe ). Und heute? Zwar habe ich mich viermal vertippt, bis ich hier überall das Wort Leopard richtig geschrieben hatte (was vermutlich tief blicken lässt), aber ja, die Panzer sind vermutlich – leider, entsetzlicherweise – das richtige und angemessene Mittel, damit sich das überfallene Land wehren kann.
Zeitenwende im eigenen Kopf: Es ändern sich die Zeiten und wir uns mit ihnen.
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Leopard-2-Panzer der Bundeswehr (Quelle: DLF; picture alliance / dpa / Moritz Frankenberg) |
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Dienstag, 07. März 2023 |
Literarische Perlen (12)
Hermann Broch
Zerfall der Werte [6]
Zur Logik des Soldaten gehört es, dem Feind eine Handgranate zwischen die Beine zu schmeißen;
zur Logik des Militärs gehört es überhaupt, die militärischen Machtmittel mit äußerster Konsequenz und Radikalität auszunützen und wenn es nottut, Vöker auszurotten, Kathedralen niederzulegen, Krankenhäuser und Operationssäle zu beschießen;
zur Logik des Wirtschaftsführers gehört es, die wirtschaftlichen Mittel mit äußerster Konsequenz und Absolutheit auszunützen und, unter Vernichtung aller Konkurrenz, dem eigenen Wirtschaftsobjekt, sei es nun ein Geschäft, eine Fabrik, ein Konzern oder sonst irgendein ökonomischer Körper, zur alleinigen Domination zu verhelfen;
zur Logik des Malers gehört es, die malerischen Prinzipien mit äußerster Konsequenz und Radikalität bis zum Ende zu führen, auf die Gefahr hin, dass ein völlig esoterisches, nur mehr dem Produzenten verständliches Gebilde entstehe;
zur Logik des Revolutionärs gehört es, den revolutionären Elan mit äußerster Konsequenz und Radikalität bis zur Statuierung einer Revolution an sich vorwärtszutreiben, wie es überhaupt zur Logik des politischen Menschen gehört, das politische Ziel bis zur absoluten Diktatur zu bringen;
zur Logik des bürgerlichen Faiseurs gehört es, mit absoluter Konsequenz und Radikalität den Leitspruch des Enrichissez-vous* in Geltung zu setzen: auf diese Weise, in solch absoluter Konsequenz und Radikalität entstand die Weltleistung des Abendlandes – um an dieser Absolutheit, die sich selbst aufhebt, ad absurdum geführt zu werden: Krieg ist Krieg, l'art pour l'art, in der Politik gibt es keine Bedenken, Geschäft ist Geschäft –, dies alles besagt das nämliche, dies ist alles von der nämlichen aggressiven Radikalität, ist von jener unheimlichen, ich möchte fast sagen, metaphysischen Rücksichtslosigkeit, ist von jener auf die Sache und nur auf die Sache gerichteten grausamen Logizität, die nicht nach rechts, nicht nach links schaut, – oh, dies alles ist der Denkstil dieser Zeit!123
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* frz.: bereichert euch!
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123 Broch, Hermann: Die Schlafwandler. Eine Romantrilogie, Rhein-Verlag Zürich 1952 [1932], S. 525 f. |
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Dienstag, 28. Februar 2023 |
Zum Monatsende mal was Lustiges. Diese Karte hängt hier im Büro, und jedes Mal, wenn ich sie anschaue, lache ich mich schlapp!
Übrigens ein hervorragender Tipp für den Alltag: anstatt immer nur die Kinder (oder den/die Partner/in) einfach mal seinen Goldfisch anschreien.
Papan ist ein großartiger Karikaturist: besucht unbedingt seine Website!
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Tag, 19. Februar 2023 |
Die alten Tagebücher (70)
3. November 1981
Wetterbeobachtungen. Der erwähnte Anbau ist eine Dusche und Toilette anstelle des alten Plumpsklos.
Manchmal kann ich verstehen, dass ganze Völker, wie etwa die Engländer, das Wetter zu ihrem Gesprächsthema Nr. 1 gemacht haben. Z.B. ist das heutige Wetter auf jeden Fall wieder erwähnenswert: Wir frühstücken im Freien (wieder vorm Hühnerstall wie im Frühling, weil der "Biergarten" schon eingewintert ist), arbeiten tagsüber in der Sonne und brauchen abends nicht zu heizen. Wir haben abends um halb zehn in der Küche unglaubliche 20 °C, die können doch nicht bloß davon kommen, dass grad ein Brot im Ofen bäckt und vorher eine Pizza - alle Türen sind offen (nein, die Haustür natürlich nicht), sehr erstaunlich das.
Unser Anbau ist von außen fertig, er sieht sehr hübsch aus, und auf den ersten Blick ist eine Veränderung zu früher kaum zu bemerken, obwohl er etwa 1 Meter länger ist.
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Wochentag, 12. Februar 2023 |
"Wir werden unsere Außengrenzen stärken und so irreguläre Migration verhindern", sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf dem EU-Sondergipfel am Donnerstag in Brüssel. Die EU will also mehr Geld ausgeben für den Schutz der Außengrenzen. In Deutschland kommt Kritik aus der Opposition: Die Linke sagt, was auf dem EU-Gipfel in Sachen Flucht und Migration beschlossen worden sei, komme einer humanitären Bankrotterklärung gleich, und die Grünen meinen, die Errichtung von Zäunen passe nicht zur EU. Der Union sind dagegen die Beschlüsse nicht konkret genug, sie hätte sich eine gleichmäßigere Verteilung der Ukraine-Flüchtlinge in der EU gewünscht.
Gibt es jetzt mehr EU-Zäune?, fragt der Kommentator des DLF
Mir kommt dabei ein Gedicht von Robert Frost in den Sinn. Es trägt den Titel Mending Wall ("Die Mauer ausbessern") und thematisiert das Für und Wider von Zäunen und Mauern.
Mending Wall
Something there is that doesn't love a wall,
That sends the frozen-ground-swell under it,
And spills the upper boulders in the sun,
And makes gaps x even two can pass abreast.
The work of hunters is another thing:
I have come after them and made repair
Where they have left not one stone on a stone,
But they would have the rabbit out of hiding,
To please the yelping dogs. The gaps I mean,
No one has seen them made or heard them made,
But at spring mending-time we find them there.
I let my neighbor know beyond the hill;
And on a day we meet to walk the line
And set the wall between us once again.
We keep the wall between us as we go.
To each the boulders that have fallen to each.
And some are loaves and some so nearly balls
We have to use a spell to make them balance:
'Stay where you are until our backs are turned!'
We wear our fingers rough with handling them.
Oh, just another kind of out-door game,
One on a side. It comes to little more:
There where it is we do not need the wall:
He is all pine and I am apple orchard.
My apple trees will never get across
And eat the cones under his pines, I tell him.
He only says, 'Good fences make good neighbors'.
Spring is the mischief in me, and I wonder
If I could put a notion in his head:
'Why do they make good neighbors? Isn't it
Where there are cows? But here there are no cows.
Before I built a wall I'd ask to know
What I was walling in or walling out,
And to whom I was like to give offence.
Something there is that doesn't love a wall,
That wants it down.' I could say 'Elves' to him,
But it's not elves exactly, and I'd rather
He said it for himself. I see him there
Bringing a stone grasped firmly by the top
In each hand, like an old-stone savage armed.
He moves in darkness as it seems to me
Not of woods only and the shade of trees.
He will not go behind his father's saying,
And he likes having thought of it so well
He says again, 'Good fences make good neighbors.'
Da treffen sich zwei Männer im Frühling im Wald an ihrer gemeinsamen Grundstücksgrenze, um die im Winter beschädigte Steinmauer auszubessern, die nicht nur durch den Frost, sondern vor allem durch die Hunde der Jäger beschädigt worden ist. Doch wozu haben wir hier eigentlich eine Mauer, fragt der Sprecher, auf meiner Seite gibt es nur Apfelbäume und drüben nur Kiefern, die tun sich gegenseitig nichts. Hier gibt es doch keine Kühe, die man einzäunen müsste.
Die Antwort des Nachbarn besteht nur aus einem überlieferten Sprichwort: "Good fences make good neighbors" ("Sind Zäune gut, sind Nachbarn gut") Der Sprecher aber stellt fest: Im Menschen gibt es etwas, das keine Mauern mag.
Robert Frost hat sich später zu diesem Gedicht in dem Sinn geäußert, dass er sich vermutlich in beiden Figuren gesehen hat, er habe es sich zur Regel gemacht, in allem, was er schreibe, für keine seiner Figuren Partei zu ergreifen. Der Impuls, schützende Mauern zu errichten und der gegensätzliche Impuls, sie abzutragen, existierten fortwährend in Frosts Werk, schreibt Henry Hart, einer von Frosts Biografen.
Nicht nur in den Gedichten von Robert Frost.
Hier wieder zwei Übertragungen ins Deutsche, die erste von Ingeborg, die zweite von mir (basierend auf Ingeborgs Version)
Wälle flicken
Etwas ist da, was Wälle gar nicht mag,
was unter sie Frost-Boden-Wölbung schickt,
die Steine oben in der Sonne kullert
und Lücken macht, durch die gleich zweie passen.
Was anderes ist noch das Werk der Jäger:
Ich gehe ihnen nach und reparier
wo sie nicht Stein auf Stein gelassen haben.
Sie trieben wohl den Hasen aus dem Bau,
zum Spaß der Kläffer. Diese Lücken sah
niemand sie machen, oder hört' sie machen.
Doch finden wir sie da, im Frühjahr, Flickzeit,
Ich sag Bescheid dem Nachbarn hinterm Hügel,
wir wandern eines Tags zu zweit entlang
und setzen den Wall zwischen uns instand.
Wir halten den Wall zwischen uns beim Gehn.
Die Steine dem, zu dem sie hingefallen.
Und manche sind Laibe, manche beinah Bälle,
wir brauchen einen Spruch zum Balancieren:
'Bleib, wo du bist, bis wir den Rücken kehren.'
Die Finger werden rissig vom Hantieren.
O, eine Art von Spiel an frischer Luft,
ein Mann pro Seite. Dazu kommt noch etwas:
Dort, wo er ist, braucht man gar keinen Wall:
Er hat nur Kiefern und ich Apfelbäume.
Die gehen niemals rüber, fressen nie
die Zapfen unter seinen Kiefern, sag ich.
Er bloß: 'Sind Zäune gut, sind Nachbarn gut.'
Frühling ist Maliziöses in mir, kann ich
in seinen Kopf eine Idee platzieren?
'Warum sind dann die Nachbarn gut? Braucht's das
nicht bloß bei Vieh? Doch hier ist kein Vieh da.
Bevor ich einen Wall setz, würd' ich fragen
was ich da einwall oder auswall, und
wem dies mein Werk Gewallt erscheinen mag.
Etwas ist da, was Wälle gar nicht mag,
was sie niederreißt.' Könnt es Kobold nennen,
doch Kobold ist's ja nicht. Mir wär es lieber,
dass er es selbst so nennt. Ich seh ihn als
bewehrtes Steinzeitungetüm, in Händen
je einen Stein, am Ende fest gepackt.
In Dunkelheit bewegt er sich, scheint mir,
nicht der des Walds nur und der Bäume Schatten.
Er geht nicht hinter seines Vaters Wort und
freut sich, dass er's so gut behalten hat.
Er nochmal: 'Sind Zäune gut, sind Nachbarn gut.'
Mauerflicken
Da ist etwas, das Mauern gar nicht mag,
Was unter sie gefror‘nen Boden schiebt,
Die ob‘ren Steine in die Sonne kippt
Und Lücken macht, durch die zu zweit man passt.
Und dann gibt es das Werk der Jäger noch:
Ich gehe ihnen nach und reparier‘
Wo sie nicht Stein auf Stein gelassen haben.
Sie trieben nur den Hasen aus dem Bau,
Jaulender Hunde Spaß. Die Lücken, mein‘ ich,
Sah und hörte keiner machen, doch
Finden wir sie dort zur Frühjahrsflickzeit.
Ich sag Bescheid dem Nachbarn hinterm Hügel,
Wir gehen eines Tags die Strecke lang
Setzen die Mauer zwischen uns instand.
Halten die Mauer zwischen uns beim Gehn.
Die Steine dem, zu dem sie hingefallen.
Manche sind Laibe, manche beinah Bälle,
Wir brauchen einen Spruch zum Balancieren:
'Bleib, wo du bist, bis wir den Rücken kehren.'
Die Finger werden rissig vom Hantieren.
O, noch so eine Art von Spiel im Freien,
Einer auf jeder Seite. Und dann noch was:
Dort, wo sie ist, braucht‘s gar keine Mauer:
Er hat nur Kiefern und ich Apfelbäume.
Die gehen niemals rüber, fressen nie
Die Zapfen unter seinen Kiefern, sag ich.
Er bloß: 'Sind Zäune gut, sind Nachbarn gut.'
Im Frühling sticht der Hafer mich, ich frag mich,
Ob eine Idee ich ihm eingeben kann:
'Warum sind dann die Nachbarn gut? Braucht's das
Nicht bloß bei Vieh? Hier gibt es doch kein Vieh.
Bevor ich eine Mauer setz‘, frag‘ ich
Was ich denn da einmau‘re oder aus,
Und wen ich gar beleidige damit.
Da ist etwas, das Mauern gar nicht mag,
Was nieder sie möcht‘ reißen' – sind es Elfen?
Doch eigentlich sind’s keine Elfen, lieber
Wär’s mir, er selbst benennt‘s. Da seh‘ ich ihn
Wie einen Stein er fest ergreift, in jeder
Hand, bewaffnet wie ein Steinzeitwilder.
In Dunkelheit bewegt er sich, scheint mir,
nicht der des Walds nur und der Bäume Schatten.
Er geht nicht hinter seines Vaters Wort und
freut sich, dass er's so gut behalten hat und
sagt nochmal: 'Sind Zäune gut, sind Nachbarn gut.'
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Sonntag, 29. Januar 2023 |
Der erste Monat des Neuen Jahres ist beinahe schon wieder vorbei, und erst jetzt komme ich dazu, einen Beitrag im Jahr 2023 zu verfassen. Die Säumigkeit ist vor allem dem Reisen geschuldet. Und aus den Reiseerlebnissen will ich nur ein Ereignis herausgreifen: einen Besuch in der Hamburger Elbphilharmonie – umstrittenes, sündteures Bauwerk.
Ich will aber den vielen kritischen Kommentaren, die das Bauwerk seit dem Planungsbeginn 2007 begleiteten, keinen neuen hinzufügen. Wir hatten am 23. Januar einen phantastischen Konzertabend erlebt: Wagner, Mozart, Brahms, alles vom Feinsten. Von unserem Platz hinten über dem Orchester, der Niederländischen Philharmonie, (aber wo ist in einem runden Saal "hinten"?) konnten wir den Dirigenten Lorenzo Viotti (ein formidables Showtalent!) und die Mozart-Pianistin Maria João Pires bei ihrer Arbeit beobachten. Es war berührend zu sehen, wie sich der junge Dirigent (Jahrgang 1990) und die zwei Generationen ältere Pires verstanden und mochten.
Einzelheiten kann man der Kritik im Hamburger Abendblatt entnehmen.
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Elbphilharmonie – Orchesterraum |
Elbphilharmonie – Zuschauerraum |
Elbphilharmonie – Blick durch die Panoramafenster auf den Hafen |
Elbphilharmonie – Blick durch die Panoramafenster auf die Stadt |
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