(...)
Die Feststellung der gewaltigen menschlichen Bosheit hat die schöpferische Macht offenbar nicht dazu veranlasst, das gesamte Experiment abzubrechen, die Welt restlos zu vernichten, den Kosmos wieder ins Chaos oder in die Nichtexistenz zurückzuführen und sich selber wieder in jenen vorschöpferischen Zustand des Nicht-Erkanntseins in Sicherheit zu bringen, denn anderenfalls gäbe es die Welt nicht mehr. Vielmehr entwerfen die Schriften entweder (wie in der Gnosis) ein endloses erbarmungswürdiges Schicksal der Menschen mit ewigen Verstrickungen ins Böse oder die Schöpfermacht ist (wie in der Genesis) bereit, das Spiel noch einmal von vorn zu beginnen. In diesem Fall hat man immerhin dazugelernt:
Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe.Diese Worte begleiten den Neuanfang des menschlichen Lebens nach der Sintflut. Gott ändert also nicht die grundlegende Bosheit seiner Geschöpfe, sondern gibt es nur auf, sich darüber zu beklagen. Ist das die Art, wie ein Allmächtiger handelt? Nur, wenn das Böse bereits unverrückbar als Teil der Welt gesetzt und seine Reduzierung oder Abschaffung ausgeschlossen erscheint, wird diese Haltung verständlich. In diesem Fall wird man das Experiment eben so, wie es angefangen hat, weiterlaufen lassen müssen. Anderenfalls sieht sich Gott vor der Wahl: Nehme ich die Freiheit der Menschen, sich für das Böse zu entscheiden, zurück oder beschneide ich – falls überhaupt noch möglich – die Macht dieses Bösen? In beiden Fällen ist das Projekt in seiner ursprünglichen Form gescheitert: dann hätte man das Ganze auch in dem frühen vormenschlichen Stadium belassen können, in dem es außer Gott höchstens Wesen gab, die des Bösen nicht fähig waren: engelartige Geschöpfe, über die zu sagen: alles ist gut noch nicht einmal einen Sinn hätte: es gibt ja keine Alternative.
Diese nun lebten wie Götter, von Sorgen befreit das Gemüte,Das klingt vertraut. Alles wird den frühen Menschen geschenkt, nichts beeinträchtigt das Paradies. Adam und Eva lassen grüßen. Als auf das goldene Zeitalter das silberne folgt, in dem nach Hesiod die Menschen sich sehr von denen der früheren Zeit unterscheiden, sind sie bereits selber schuld an ihrem Verderben:
Fern von Mühen und fern von Trübsal; lastendes Alter
Traf sie nimmer; an Händen und Füßen die nämlichen immer
Freuten sie sich bei Gelagen, entrückt stets jeglichem Übel.
Wie vom Schlummer bezwungen verschieden sie; keines der Güter
Missten sie; Frucht gab ihnen das nahrungsspendende Saatland
Gern von selbst und in Hülle und Fülle; und ganz nach Belieben
Schafften sie ruhig das Werk im Besitze der reichlichsten Gaben,
Wohl mit Herden gesegnet, den seligen Göttern befreundet.
Aber sobald er erstarkt und der Mannheit Reife gewonnen,Den frevelnden Mut nicht vor dem Nächsten bezähmen heißt nichts anderes, als dass die Menschen angefangen haben einander die Köpfe einzuschlagen. Und die frommen Sitten der Götterverehrung waren ihnen sowieso egal geworden. Es folgen das eherne (oder bronzene) und schließlich das eiserne Zeitalter, das ist die menschliche Welt der Gegenwart. Die Menschheitsgeschichte ist ein einziger Niedergang, geradeso wie ihn tausend Jahre später die Gnosis ausmalen wird. Auch das Modell der metallischen Zeitalter lässt sich also als ein Fehlschlag einer ursprünglich großen Idee interpretieren. Aus Gold war das anfängliche Ideal, am Ende blieb Eisen.
Lebt' er nur noch wenige Zeit, von Leiden umgeben
Durch sein töricht Treiben; sie konnten den frevelnden Mut ja
Nicht vor dem Nächsten bezähmen, den Ewigen wollten sie nimmer
Dienen und auf den Altären die Seligen ehren mit Opfern.
| zurück zur Seite "Schreiben" | ||||