Aus der Schreibwerkstatt (Dezember 2017)

Ausschnitt aus dem Essay "Die Welt als Bad Bank" (3. Teil eines dreiteiligen Projekts mit dem vorläufigen Titel "Die Wegwerfwelt")









(Stand: 19.12.17)



(...)

Die Feststellung der gewaltigen menschlichen Bosheit hat die schöpferische Macht offenbar nicht dazu veranlasst, das gesamte Experiment abzubrechen, die Welt restlos zu vernichten, den Kosmos wieder ins Chaos oder in die Nichtexistenz zurückzuführen und sich selber wieder in jenen vorschöpferischen Zustand des Nicht-Erkanntseins in Sicherheit zu bringen, denn anderenfalls gäbe es die Welt nicht mehr. Vielmehr entwerfen die Schriften entweder (wie in der Gnosis) ein endloses erbarmungswürdiges Schicksal der Menschen mit ewigen Verstrickungen ins Böse oder die Schöpfermacht ist (wie in der Genesis) bereit, das Spiel noch einmal von vorn zu beginnen. In diesem Fall hat man immerhin dazugelernt:

Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe.
Diese Worte begleiten den Neuanfang des menschlichen Lebens nach der Sintflut. Gott ändert also nicht die grundlegende Bosheit seiner Geschöpfe, sondern gibt es nur auf, sich darüber zu beklagen. Ist das die Art, wie ein Allmächtiger handelt? Nur, wenn das Böse bereits unverrückbar als Teil der Welt gesetzt und seine Reduzierung oder Abschaffung ausgeschlossen erscheint, wird diese Haltung verständlich. In diesem Fall wird man das Experiment eben so, wie es angefangen hat, weiterlaufen lassen müssen. Anderenfalls sieht sich Gott vor der Wahl: Nehme ich die Freiheit der Menschen, sich für das Böse zu entscheiden, zurück oder beschneide ich – falls überhaupt noch möglich – die Macht dieses Bösen? In beiden Fällen ist das Projekt in seiner ursprünglichen Form gescheitert: dann hätte man das Ganze auch in dem frühen vormenschlichen Stadium belassen können, in dem es außer Gott höchstens Wesen gab, die des Bösen nicht fähig waren: engelartige Geschöpfe, über die zu sagen: alles ist gut noch nicht einmal einen Sinn hätte: es gibt ja keine Alternative.

Resignation lässt sich aus Gottes Worten heraushören: so sind sie eben, meine Geschöpfe, jetzt wird man sehen müssen, wie man damit zurechtkommt. Ist die Feststellung, das Dichten und Trachten der Menschen sei grundböse, schon ein Sich-Beugen unter die Spielregeln eines anderen? Man darf nicht vergessen, der Fürst dieser Welt – beziehungsweise die Götter der ersten Stunde mit ihren zum Teil niederträchtigen Charaktereigenschaften – waren längst in der Welt aktiv, und ob diese sich ebenfalls in die Nichtexistenz zurückzwingen lassen würden, wird nirgends auch nur ansatzweise diskutiert. Gott erleidet das Schicksal des Zauberlehrlings: Die ich rief die Geister werd ich nun nicht los.

Die Traditionen haben teilweise sehr schöne Bilder für dieses Misslingen gefunden, wie überhaupt für das Integrieren des Bösen ins Schöpfungsgeschehen. Vielleicht muss man sagen: beschönigende Bilder? Die jüdische Kabbala beispielsweise kennt das Symbol der zerbrochenen Gefäße, die für die Aufnahme des göttlichen Lichts bestimmt waren, dessen Stärke jedoch nicht standhielten. Ihre Scherben gelten als der Ursprung des Bösen, tragen aber noch Restfunken des Lichts. Die Mächte des Bösen halten die Funken gefangen und ernähren sich von ihrer Kraft. Im Bösen, heißt das, ist also auch Heiliges enthalten. Aus dieser Sphäre stammt, so erläutert Gerold Necker in seiner Einführung in die lurianische Kabbala, die Seele des Menschen. Seine Aufgabe bestehe darin, die heiligen Seelenfunken zu läutern, indem er sich an die Gebote hält.

Viele Traditionen und Erzählungen berichten von einer Götter- oder Halbgötterwelt, die vor dem Auftauchen der Menschen, wie wir sie kennen, bestanden hat. Das Goldene Zeitalter der Griechen war eine solche Epoche. Hesiod, vermutlich ein Zeitgenosse Homers im siebten oder achten vorchristlichen Jahrhundert, schreibt über die ersten Menschen:
Diese nun lebten wie Götter, von Sorgen befreit das Gemüte,
Fern von Mühen und fern von Trübsal; lastendes Alter
Traf sie nimmer; an Händen und Füßen die nämlichen immer
Freuten sie sich bei Gelagen, entrückt stets jeglichem Übel.
Wie vom Schlummer bezwungen verschieden sie; keines der Güter
Missten sie; Frucht gab ihnen das nahrungsspendende Saatland
Gern von selbst und in Hülle und Fülle; und ganz nach Belieben
Schafften sie ruhig das Werk im Besitze der reichlichsten Gaben,
Wohl mit Herden gesegnet, den seligen Göttern befreundet.
Das klingt vertraut. Alles wird den frühen Menschen geschenkt, nichts beeinträchtigt das Paradies. Adam und Eva lassen grüßen. Als auf das goldene Zeitalter das silberne folgt, in dem nach Hesiod die Menschen sich sehr von denen der früheren Zeit unterscheiden, sind sie bereits selber schuld an ihrem Verderben:
Aber sobald er erstarkt und der Mannheit Reife gewonnen,
Lebt' er nur noch wenige Zeit, von Leiden umgeben
Durch sein töricht Treiben; sie konnten den frevelnden Mut ja
Nicht vor dem Nächsten bezähmen, den Ewigen wollten sie nimmer
Dienen und auf den Altären die Seligen ehren mit Opfern.
Den frevelnden Mut nicht vor dem Nächsten bezähmen heißt nichts anderes, als dass die Menschen angefangen haben einander die Köpfe einzuschlagen. Und die frommen Sitten der Götterverehrung waren ihnen sowieso egal geworden. Es folgen das eherne (oder bronzene) und schließlich das eiserne Zeitalter, das ist die menschliche Welt der Gegenwart. Die Menschheitsgeschichte ist ein einziger Niedergang, geradeso wie ihn tausend Jahre später die Gnosis ausmalen wird. Auch das Modell der metallischen Zeitalter lässt sich also als ein Fehlschlag einer ursprünglich großen Idee interpretieren. Aus Gold war das anfängliche Ideal, am Ende blieb Eisen.

Die Psychoanalytikerin Marie-Louise von Franz, enge Mitarbeiterin von C. G. Jung, widmete den gescheiterten Schöpfungsversuchen ein ganzes Kapitel ihres Buches über Schöpfungsmythen und deren Zusammenhang mit der menschlichen Kreativität. So zitiert sie einen Mythos der Azteken, nach dem es vier Schöpfungen gegeben habe, die alle durch Sintfluten zerstört wurden. Erst die fünfte Neuschöpfung war von Dauer, sie entspricht unserem Zeitalter. Andere Mythen erzählen von misslungenen Wesen, die vor den Menschen entstanden sind, Titanen etwa in der griechischen Mythologie oder Narren und Taubstumme in einem Mythos von den Neuen Hebriden in der Südsee. Diese Erzählung ist insofern erhellend, als sie nahelegt, die Narren und Taubstummen seien nicht böse genug gewesen, um die Welt zustande zu bringen. Erst ein Gewaltakt, der dazu führt, dass die Wurzeln des Himmels, mit denen er sich an die Erde klammert, aus ihr herausgerissen werden, führen zur Errichtung des "Ersten Landes". Weniger die Schöpfung der kosmischen Welt, vielmehr die Erschaffung des Menschen sei es, schreibt von Franz, wo es so viele Misserfolge gibt, als wäre die Erschaffung des Menschen für Gott in seiner Schöpfungsarbeit ein besonders schwieriges Kapitel, und er musste es mehrmals versuchen, bevor er ungefähr das erreichte, was er im Sinn hatte.

(...)






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